Strategie und andere Ungereimtheiten

Wer das Ganze nicht kennt, kann die Teile nicht verbessern! Das Values-Framework als Basis für die Strategiearbeit.

Bernd Postai

Für die Entwicklung von Unternehmensstrategien gibt es viele methodische Zugänge. Wirtschaftsuniversitäten, Business Schools und Unternehmensberatungen legen immer wieder neue Konzepte und Rezepte vor, mit deren Hilfe Strategien ausgearbeitet werden können. Mintzberg hat diese Zugänge geordnet und teilt sie in zehn verschiedene Strategieschulen ein (Mintzberg et al, 2020, Strategy Safary).

Die zehn Designschulen nach Mintzberg et al.
Die zehn Designschulen nach Mintzberg et al.

So weit, so gut! Da muss doch für jeden etwas dabei sein. Vor allem: Damit sollten sich doch alle Herausforderungen meistern lassen. Was braucht es da noch? Mintzberg gibt Antwort darauf. Er weist darauf hin, dass bei all diesen Schulen kein Bild des Ganzen eines Unternehmens entsteht. Vielmehr hat er den Eindruck, dass es sich abspielt wie im Bild mit den Blinden und den Elefanten: Jede dieser Schulen nimmt eine bestimmt Perspektive ein und übersieht dabei gleichzeitig viele Aspekte, die genauso relevant sind.

Es ist diese Ausgangslage und meine persönliche Erfahrung, die mich dazu veranlasst haben, zu überlegen, wie man hier weiterkommen könnte. Dabei hat mich ein Bonmot von Warren Buffet inspiriert, der einmal sagte:

“Being a CEO made me a better investor, being an investor made me a better CEO”.

Daraufhin habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, wie Investoren – Value Investoren – ein Unternehmen betrachten, beziehungsweise worauf ein Investor als CEO achten würde. Zunächst ist klar: Langfristig orientierte Investoren interessieren sich für das Ganze, für den “inneren Wert” eines Unternehmens und für die Aussichten auf Wachstum und Ertrag.

Übertragen auf das Thema Strategieentwicklung bedeutet das für mich, dass der zentrale Zweck einer Strategie darin besteht, ein Unternehmen wertvoller zu machen. Nach einem Strategieprozess muss ein Unternehmen mehr «Gewicht auf die Waage» bringen, weil sich dessen langfristige Wachstums- und Ertragsperspektive verbessert hat. Unternehmen müssen werthaltig sein, um langfristig zu überleben.

Im Rahmen einer Unternehmensbewertung sind für Value-Investoren ganz bestimmte Dinge wichtig: Prominent ist beispielsweise der Schutz von Wettbewerbsvorteilen. Gibt es einen “Burggraben”, der es Wettbewerbern schwer macht, die Marktposition des Unternehmens anzugreifen? Ein anderes Beispiel für die Herangehensweise von Value-Investoren ist die Prüfung der Frage, inwiefern erwirtschaftete Gewinne im Unternehmen «überrentierlich» re-investiert werden können. Wenn sich Investitionen ins eigene Unternehmen lohnen – also mehr Ertrag abwerfen, wie ein alternatives (idealerweise gleich oder weniger riskantes) Investment – ist das ein Hinweis auf ein wertvolles Unternehmen. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen; zur Illustration dessen, worauf ich hinauswill, sollten sie genügen. Es sind diese spezifischen Fragestellungen der Unternehmensanalyse, die mich interessiert haben, und die zusammengeführt kaum einen relevanten Aspekt der Bewertung eines Unternehmens auslassen. Ein Investor will sein Geld gut anlegen, die sorgfältige Analyse sorgt dafür, dass dies der Fall ist. Umgekehrt gilt aber auch: Die Kriterien, die ein Investor untersucht, müssen innerhalb des Unternehmens laufend verbessert werden. Genau das macht den Blick des Investors so hilfreich!

Das Values-Framework.

Die verschiedenen Value-Kriterien, aber auch die systematische Untersuchung der verschiedenen Strategieschulen und die eigenen Erfahrungen als Berater, sind das «Ausgangsmaterial» für die Entwicklung unseres Value-Frameworks. Ziel des Frameworks ist, alle wesentlichen Werttreiber – Value-Dimensionen – aufzuzeigen und damit eine solide Basis für die Strategiearbeit bereitzustellen. Der Einsatz des Frameworks stellt sicher, dass man nichts Maßgebliches übersieht und sich bewusst entscheidet, womit man sich im Strategieprozess beschäftigt, und was ausgeklammert wird.

Ein Unternehmen ist ein komplexes Gebilde. Es darf daher nicht überraschen, dass sich einiges ansammelt, wenn man versucht, ein Ordnungsschema vorzulegen, welches die Frage beantwortet: Was ist für die Wertentwicklung eines Unternehmens tatsächlich wichtig? Was macht dessen Wert aus?

Zunächst ist man versucht zu sagen, dass es wohl ganz unterschiedliche Dinge sind, die ein Unternehmen wertvoll machen. Wenn man genauer hinschaut, stimmt das aber nicht: Wertvolle Unternehmen sind sich in bestimmten Dimensionen sehr ähnlich. Wie Tolstoi in dem Eröffnungssatzes des Romans «Anna Karenina» schreibt: «Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich.» So sind wertvolle Unternehmen beispielsweise überproportional in wachsenden Märkten tätig, sie haben es leichter, gute Mitarbeiter zu finden und verfügen über ausgeprägte Wettbewerbsvorteile, um ein paar leicht nachvollziehbare Aspekte anzusprechen.

Wertvolle Unternehmen weisen, unserer Empirie nach, aber auch Merkmale auf, die weit weniger augenscheinlich sind und auf Ursachen des Erfolgs verweisen. So gelingt es ihnen deutlich besser als anderen, die konkreten Erwartungen an Mitarbeiter klarzumachen oder konsequent an der Umsetzung ihrer Strategie zu arbeiten.

Darum geht es uns: Wir möchten mit unserem Value-Framework ein System anbieten, mit dessen Hilfe die richtigen Hebel zur langfristigen Unternehmensentwicklung identifiziert werden. Wir unterscheiden dabei acht Hauptdimensionen, Value-Dimensionen: Verantwortung, Markt, Wettbewerb, Kultur, Mitarbeiter, Organisation, Finanzen und Führung. Diese gliedern sich in weitere Subdimensionen.

Values-Framework: Dimensionen und Sub-Dimensionen

Top Unternehmen – das können wir zwischenzeitlich auch empirisch sehr gut aufzeigen – weisen in den Value-Dimensionen und Subdimensionen höhere Ausprägungen auf als weniger Gute.

Eine strukturierte Beurteilung der Ausgangslage eines einzelnen Unternehmens anhand unseres Analyseinstruments ist ein hervorragender Ausgangspunkt für die gezielte Wertentwicklung eines Unternehmens. Im folgenden Beispiel sieht man, wie das ganz pragmatisch auf hoher Flugebene aussehen kann:

Values Online-Analyse: Beispielauswertung

In den einzelnen, derart identifizierten Handlungsfeldern kann mit den Methoden und Mitteln verschiedener Schulen gearbeitet werden. Eine klassische Ansoff-Matrix kann beispielsweise zum Nachdenken über spezifische strategische Optionen der Marktbearbeitung genutzt werden.

Eine sinnvolle Erweiterung des Werkzeugkoffers der Strategiearbeit.

Zurück zum Ausgangspunkt: Wir sind überzeugt, mit dem Value-Framework eine sehr brauchbare Grundlage zur Beschreibung des Ganzen erarbeitet zu haben. Wenn ein Unternehmen eine klare Vorstellung davon hat, wie und wodurch es sich in den verschiedensten Value-Dimensionen und Subdimensionen entwickeln will, dann hat es ein vollständiges “Bild vom Elefanten” und ist strategisch exzellent aufgestellt. Wenn es zusätzlich gelingt, diese Vorhaben umzusetzen, dann wird eine Wertsteigerung gelingen.

War es das jetzt? Ist Mintzbergs Klage über das fehlende Bild vom Ganzen damit obsolet? Haben wir mit dem Values-Framework ein Bild des Ganzen? Ich hoffe tatsächlich, dass wir einen großen Schritt weitergekommen sind, auch wenn noch viel Arbeit vor uns liegt.

In diesem Sinne arbeiten wir weiterhin an der empirischen Validierung unseres Modells: Noch sind wir beispielsweise nicht in der Lage, die Relevanz der verschiedenen Dimensionen im Verhältnis zueinander auszudrücken. Wir können noch nicht sagen, ob die Dimension “Markt” wichtiger als "Kultur” ist (was wir annehmen) oder ob “Mitarbeiter” mehr ins Gewicht fallen als “Führung”. Das sind spannende Fragen, welche mit jedem Datensatz und Geschäftsbericht besser beleuchtet werden können.

Unser Ordnungsrahmen – unser Bild des Elefanten – mag (noch) nicht perfekt sein, aber die Alternative, ohne einen solchen zu agieren, würde uns mehr Sorge bereiten.

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