Strategie und andere Ungereimtheiten

Der Werkzeugkoffer der Strategiearbeit.

Bernd Postai

Wenn eine Strategie das Unternehmen wertvoller machen soll, dann kann man mit guten Gründen die Suche nach den relevanten Hebeln bei den klassischen Strategieansätzen beginnen. Immerhin haben sich verschiedene Schulen zur Strategieentwicklung in der Praxis bewährt. Eine Reihe klassischer Konzepte und Instrumente sind aus der Strategiearbeit nicht mehr wegzudenken und kommen – zum Teil seit Jahrzehnten – mehr oder weniger erfolgreich zum Einsatz.  

Mintzberg et al. kategorisieren in ihrem Standardwerk "Strategy Safari" die bekannten Strategieansätze in zehn verschiedene Strategieschulen, die sie nach jeweils spezifischen Kernannahmen und typischerweise zum Einsatz kommenden Instrumenten unterscheiden.

Die zehn Designschulen nach Mintzberg et al.

Um das stark vereinfacht anhand des Beispiels der Designschule zu erläutern: Unter Designschulen fassen die Autoren all jene Ansätze zusammen, die danach trachten, das Unternehmen nach den intern bestehenden Stärken und Schwächen und den in der Umwelt wahrgenommen Chancen und Risiken zu gestalten. Konkret sollen dabei interne Stärken zur Nutzung von Chancen und zur Abwendung von Risiken eingesetzt werden. Folgerichtig sind Schwächen so weit zu beseitigen, dass Chancen genutzt werden können bzw. Risiken nicht (oder nur abgemildert) zu tragen kommen. In dem skizzierten Prinzip ist die Kernannahme die Gestaltbarkeit der Unternehmen, das führende Instrument ist die SWOT-Analyse. Gegenstand der SWOT-Analyse ist alles, was so "daherkommt" und was den am Strategieprozess beteiligten Personen einfällt. Hebel sind demnach alles, was Stärken fördert, und Schwächen mindert.

Nicht weniger bekannt sind die Ansätze der Planungsschule, die sich um die Produkt-Marktmatrix von Ansoff gebildet haben und die gleichzeitig das wichtigste Instrument der Planungsschulen darstellt. Die Hebel der Strategieentwicklung nach der Produkt-Marktmatrix sind:

  • mit bestehenden Produkten die bestehenden Märkte besser zu bearbeiten, also die Marktdurchdringung zu erhöhen
  • mit bestehenden Produkten in neue Märkte einzutreten, das entspricht der Markterweiterung
  • mit neuen Produkten bestehende Märkte zu bearbeiten, das heißt der Fokus liegt auf der Produktentwicklung
  • mit neuen Produkten in neue Märkte einzutreten, respektive Diversifikation zu betreiben
  • In der Planungsschule ist der Hebel die systematische Planung der Produkt-Markt-Aktivitäten, um das Unternehmen wertvoller zu machen.

Als letztes Beispiel nenne ich eine aktuell höchst populäre Schule: Die kognitive Schule mit dem Schlüsselkonzept des Business Model Canvas. Anhand des Business Model Canvas werden eine Reihe von Fragen im Hinblick auf das Geschäftsmodell gestellt. In der Strategieentwicklung geht es dann darum, diese Fragen möglichst gültig zu beantworten und diese Antworten umzusetzen. Verwendung findet die Methode vorwiegend in der Start-up-Szene oder bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle etablierter Firmen. Hebel sind hier die verschiedenen Elemente eines Geschäftsmodells und die optimale Gestaltung derer.

Alle weiteren Schulen fokussieren sich, wie auch die herausgegriffenen Beispiele, auf einzelne Aspekte eines Unternehmens und betreiben infolgedessen Strategieentwicklung primär aus idiosynkratischer Perspektive und nach dem jeweils entsprechenden Muster.

Mintzberg et al. vergleichen das mit dem Bild "Die Blinden und der Elefant". Sechs Blinde ertasten einen Elefanten und je nachdem, wo sie stehen, ist der Elefant etwas ganz anderes. Für denjenigen, der die spitzen Zähne des Elefanten ertastet, ist der Elefant ein Speer. Für den Blinden, der ein Bein vor sich hat, ein Baum. Für den, der auf dem Rücken des Elefanten sitzt und den Luftstrom der fächernden Ohren wahrnimmt, ist der Elefant ein Ventilator – keiner der Blinden aber, erfasst den Elefanten als Ganzes.  

Die verschiedenen Strategieschule ähneln nach Ansicht von Mintzberg et al. diesen Blinden. Sie sehen jeweils einen Aspekt, aber erfassen nicht das Ganze. Folglich stellen die Autoren fest: "Jeder Strategieprozess erfordert eine Kombination der Elemente der Schulen".

Vielleicht ist der fehlende Blick für das Ganze der Grund dafür, dass ich manchmal den Eindruck habe, dass in der praktischen Verwendung klassischer Strategie-Instrumente nicht immer klar ist, warum ein bestimmtes Instrument verwendet wird und was damit erreicht werden soll. Vergleichbar mit einem Arzt, der in seinen Medikamentenkoffer greift und zufällig ein paar Tabletten herausfischt oder bestimmte "Lieblingsmedikamente" hat, die er immer wieder einsetzt. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist etwas dabei, das zu den Beschwerden des Patienten passt. Irgendeine Wirkung wird jedenfalls meistens erzielt. Wenn sich auch noch ein paar erwünschte Auswirkungen einstellen und der Patient die Nebenwirkungen überlebt, werden Arzt und Patient möglicherweise den Eindruck haben, dass die Therapie gut war – schließlich hat sie ja irgendwie funktioniert.

Im Kontext dieses Beispiels ist natürlich sofort klar, dass ein besseres Herangehen darin bestünde, zunächst eine gültige Diagnose zu stellen und die Medikation danach auszuwählen. Ein großer Teil der Medikamente im Koffer hat ihre Berechtigung und einen definierten Anwendungsbereich, in dem sie wirksam sind. Antibiotika sind wirksam gegen bakteriell verursachte Erkrankungen, sie sind nutzlos im Einsatz gegen Viren. Trotzdem werden sie immer noch Jahr für Jahr "auf gut Glück" verschrieben, obwohl es durch eine einfache Blutuntersuchung möglich wäre, die bakterielle oder virale Ursache einer Krankheit festzustellen. Die Qualität der Diagnose definiert die Qualität der Therapie.

Genau dasselbe gilt auch im betriebswirtschaftlichen Kontext: Wir brauchen eine gute Diagnose des Unternehmens, also ein differenziertes Bild vom Ausgangszustand. Darauf aufbauend lässt sich sagen, was zu behandeln ist und welche Kur sich dazu am besten eignet.

Daher in aller Kürze: Es gibt nicht eine einzige, richtige Methode, um Strategie zu entwickeln, sondern einen Werkzeugkoffer der Strategiearbeit. Was es aber geben muss, ist ein geteiltes, umfangreiches Bild des Unternehmens, sprich eine Diagnose. Dann können der Werkzeugkoffer und verschiedenste Strategieschulen eingesetzt werden, um das Unternehmen wertvoller zu machen.

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