Strategie und andere Ungereimtheiten

Ein Plädoyer für Wachstum.

Bernd Postai

Die Formel “Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolgs“ ist in der Praxis schnell erschöpft. Klingt gut, aber was bedeutet das konkret? Was ist denn das Unternehmen? Der Eigentümer oder die Summe der Mitarbeiter? Die jetzigen oder die zukünftigen? Oder geht es um ganz etwas anderes? Geht es darum, die Funktion, den gesellschaftlichen Beitrag, den das Unternehmen leistet, abzusichern?

Auch in der Praxis führt die Diskussion meist zu einer pragmatischen Sammlung von Fragen, auf die man sich von der Strategie Antworten erwartet: Welche strategischen Fragen stellen sich denn aktuell? Was soll nach der Umsetzung der Strategie besser sein, als es heute ist?

Die daraus entstehende Themensammlung fällt in der Regel sehr operativ und unternehmensspezifisch aus. Sie ist im Hier und Jetzt verwurzelt, also davon geprägt, wo aktuell der Schuh drückt. Das führt zu einer gewissen Beliebigkeit im Hinblick auf die Dinge, mit denen man sich auseinandersetzt. Was hierbei fast noch schwerer wiegt, sind fehlende Kriterien dafür, was tatsächlich umgesetzt werden soll und was nicht.

Wenn strategische Optionen auf den Prüfstein „langfristige Sicherung des Überlebens“ gestellt werden, dann zeigt sich rasch, dass da allerhand standhält. Was lässt sich nicht irgendwie mit dem „Überleben“ in Verbindung bringen? Wenn man will, dann lässt sich immer ein Argument finden, wieso dieses oder jenes auch noch „strategisch wichtig“ ist.

Betrachtung des Unternehmenswerts aus Investoren-Perspektive

Ich plädiere dafür, eine andere Perspektive einzunehmen. Ausgangspunkt dazu ist für mich die Frage: Was macht ein Unternehmen für einen Investor attraktiv? Für jemanden, der auf der Suche nach langfristig gewinnbringenden Investitionen ist?

In der Ökonomie hat sich für die Bewertung von Unternehmen die Ermittlung des Kapitalwerts etabliert, auch bekannt als die "Discounted Cash Flow Methode". Dabei ergibt sich der momentane Wert eines Unternehmens als Summe der zukünftig erwarteten, diskontierten, also abgezinsten, Erträge. Ein in diesem Sinne wertvolles Unternehmen, erwirtschaftet mit hoher Wahrscheinlichkeit, hohe, idealerweise wachsende Gewinne – und zwar möglichst lange. Ein wertvolles Unternehmen hat daher ein robustes Geschäftsmodell, geringe Ausfall- oder Geschäftsrisiken und gleichzeitig wachsende Erträge. Dabei versteht sich von selbst, dass dazu mehr notwendig ist als ein Shareholder-orientiertes Management. Vielmehr wird ein solches Unternehmen eine Vielzahl günstiger Charakteristika aufweisen: Ein gutes Produkt, treue Kunden, wachsende Märkte oder wachsende Marktanteile, günstige Kostenstrukturen, tolle Mitarbeiter und vieles andere.

Der auf den ersten Blick so „turbokapitalistische“ Ansatz erweist sich bei genauerem Hinsehen als wesentlich vielschichtiger. Beispielsweise im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeitskriterien: Ein Unternehmen, das sich als Umweltsünder erweist, muss mit Strafen rechnen - mindestens aber mit schwindenden Kundenzahlen, wenn derlei bekannt wird. Die zunehmend ökologisch sensibilisierten Kunden werden einem Unternehmen entsprechende Verfehlungen nicht durchgehen lassen. Kluge Investoren erst recht nicht.

Daher die Forderung: Eine Strategie muss ein Unternehmen wertvoller machen. Sie muss sich vor allem jener Themen annehmen, welche auf die verschiedensten Faktoren einzahlen, an denen der Wert eines Unternehmens hängt. Ferner muss sie all das unterlassen, was den Wert des Unternehmens korrumpiert. Das sind insbesondere Maßnahmen, welche die Langlebigkeit gefährden.  

Die Scheu vor dem Wachstum

Mitunter zeigen Unternehmen in den deutschsprachigen Ländern eine seltsame Scheu, sich klar zu Wachstum und Ertrag zu bekennen. Leichter fällt es dagegen, über Kosten zu reden. Es ist offensichtlich gesellschaftlich verträglicher sich dem Sparen zu verschreiben als aktiv und offensiv Wachstum und Ertrag zu fordern.

Wachstum und Gewinn stehen schon länger unter Generalverdacht die Wurzel allen ökologischen und sozialen Übels zu sein. Das ist spätestens seit dem epochalen Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ so und verstärkt sich in Zeiten des Klimawandels und der drohenden ökologischen Katastrophe. Dabei sind die Zusammenhänge wesentlich komplizierter. Der Kurzschluss, Wachstum führe zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen, ist längst nicht mehr zulässig. Wenn er denn je zulässig war, so wird er spätestens durch die Entwicklungen im tertiären und quartären Sektor ad absurdum geführt. Welchen negativen ökologischen Einfluss haben denn ein paar schlaue Codezeilen? Wie sieht der ökologische Fußabdruck eines zu Papier gebrachten Gedankens aus? Könnte nicht Wachstum in den verschiedenen Wirtschaftssektoren durch zunehmend umweltschützende oder schonende Produkte erzielt werden?  

Umsätze und Erträge sind die Voraussetzung für wachsende Löhne, staatliche Steuereinnahmen und neue Investitionen sowie den daraus resultierenden Wohlstand für möglichst viele. Gemeinwohl ist das Ergebnis entsprechender Verteilungsmechanismen, die teilweise sicher fehlen. Zunächst aber muss sichergestellt sein, dass es etwas zu verteilen gibt. Teilen fällt leichter, wenn es mehr zu verteilen gibt. Was soll also grundsätzlich an wachsenden Umsätzen und Erträgen falsch sein?

Die Alternative: Stagnieren oder Schrumpfen

Betrachten wir das Thema von der entgegengesetzten Seite: Was passiert eigentlich, wenn Unternehmen nicht wachsen oder sogar schrumpfen und geringe Margen oder Erträge erwirtschaften? Gelegentlich ist ja zu hören, dass wir uns vom Wachstumscredo verabschieden sollten. Dass wir lernen müssen, mit weniger auszukommen. Was hätten wir denn da zu lernen, wie würde so etwas aussehen? Wozu führt Stagnation oder Schrumpfen in einem Unternehmen?

Personell heißt Stagnation zunächst, dass von einer stabilen oder gar kleiner werdenden Belegschaft ausgegangen werden muss. Kleiner werdend deshalb, weil es vermutlich – um wettbewerbsfähig zu sein – immer noch erforderlich sein wird, Produktivitätszuwächse zu erzielen, also mit weniger Menschen mehr Output zu erzielen. In der Regel reduziert sich damit auch die „Personaldynamik“, das heißt der Zustrom frischer, neuer Mitarbeiter reduziert sich auf den Ersatz von Abgängen, was zu einer schleichenden Überalterung der Belegschaft führt. Mitunter wird die Situation noch dadurch verschärft, dass jüngere Kollegen feststellen, dass die Karrieremöglichkeiten eingeschränkt sind, weil kaum neue, spannende Positionen entstehen und die vorhandenen mitunter langfristig besetzt sind. In einem solchen Umfeld fühlen sich in der Regel Menschen wohl, die nicht allzu ambitioniert sind, die Kontinuität, Gleichförmigkeit und Routine schätzen. Frische Impulse durch neue Mitarbeiter bleiben selten, es wird buchstäblich immer im gleichen Saft gekocht, Wissen und Know-how entwickeln sich vergleichsweise langsam – das Unternehmen „legt Staub an“, wirkt oft auch von außen betrachtet routiniert und langweilig.

Finanziell bedeutet Stagnation sich mit geringen Erträgen zufrieden zu geben. Investitionen werden schwierig, Anlagen und Maschinen veralten. Shops, Büros und Ausstattung wirken zunehmend unattraktiv – für Kunden, Partner und Mitarbeiter. Löhne und Gehälter entwickeln sich unterdurchschnittlich. Im Englischen heißt es: "If you pay peanuts, you get monkeys“. Das gilt nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die externen Partner und Lieferanten. Wer weiß, wie groß der Leistungsunterschied zwischen einem sehr guten und einem durchschnittlichen Mitarbeiter/ Partner/ Lieferanten ist, kann sich ein Bild von dem Schaden machen, der durch eine mittelmäßige Belegschaft im Vergleich zu einer überdurchschnittlich motivierten und qualifizierten Belegschaft entsteht.

Wer stagniert, verschwindet vom Markt

Unterdurchschnittlich wachsende Unternehmen mit ebensolchen operativen Erträgen können mitunter – je nach Branche - jahrelang weiter bestehen und vor sich hinsiechen. Schwierig wird es oft erst, wenn der Veränderungsdruck nicht mehr zu übersehen ist und sich das Management – nach Jahren beharrlichen Leugnens und Wegschauens – eingestehen muss, dass es doch an der Zeit ist, das Unternehmen zu verändern.

Wer sollte in diesem Moment der späten Erkenntnis die Veränderung auslösen und tragen? Die bestehende Belegschaft schätzt Routine, weil sie eben nicht darauf drängt sich und ihr Unternehmen „am Ball“ zu halten. Wie soll ein Management, das derlei verursacht hat, den Wandel anleiten? Wie will man eine über Jahre erstarrte und träge gewordene Belegschaft mobilisieren? Es kann in diesen Unternehmen noch Einsicht entstehen, dass sich etwas ändern muss. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die sich vollziehenden Entwicklungen nicht verstanden werden und damit auf ganzer Linie die Mittel fehlen, die Veränderung zu realisieren.

Sich mit bescheidenen Margen zufrieden zu geben und im operativen Geschäft weniger als der Branchendurchschnitt zu verdienen, ist ein sicherer Garant dafür, langfristig ganz vom Markt zu verschwinden. Unternehmen, die nicht danach trachten zu wachsen, gefährden ihre langfristige Existenz und sind damit das Gegenteil von nachhaltig. Wachstum und Ertrag sind die Grundlage einer gesunden Unternehmensentwicklung, aber ein wirklich wertvolles Unternehmen erschöpft sich nicht darin.

Ein Plädoyer für das Wachstum

Dieses Wachstum muss sich differenziert in jenen Sektoren und Bereichen vollziehen, die für eine global gedeihliche Entwicklung sorgen. Das sind beispielsweise nach ökologischen Prinzipien funktionierende Landwirtschaft, regenerative Energien, alternative Mobilität, etc. Auch in den Bereichen Bildung, Forschung, Gesundheit und Soziales gibt es breite Tätigkeitsfelder, die mit einem hohen Nutzen für das Gemeinwohl unerschöpfliche Möglichkeiten bieten.

Wir brauchen gesunde, wertvolle Unternehmen, die Jahr für Jahr mit hoher Sicherheit Gewinne erwirtschaften, und darum in der Lage sind hochwertige Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten bieten. Vor diesem Hintergrund ist das klare Bekenntnis zu Wachstum und Ertrag einzuordnen. Es geht dabei nicht um Neoliberalismus, Kapitalismus, Shareholder Value, sondern um vitale, wirtschaftliche Strukturen, die letztlich die gesellschaftliche Basis bilden.

Daher noch einmal in aller Deutlichkeit: Das Ziel einer Strategie muss sein, das Unternehmen wertvoller zu machen. Besonders wertvolle Unternehmen sind solche, die über einen langen Zeitraum überdurchschnittlich wachsen und überdurchschnittliche Erträge erwirtschaften. Es gibt keinen Grund, diesen Anspruch verschämt zu verklausulieren. Ganz im Gegenteil: Die Zielsetzung sollte allen Mitarbeitern und insbesondere jenen, die an der Strategie arbeiten, umfassend bewusst sein.

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